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Mit dem Tod auf du und du: Interview mit einem Bestatter

Autor Klaus Buttinger

fotolia

Der Tod erwischt jeden von uns, dennoch wird er weitgehend tabuisiert. Welchen Sinn hat das?

Grill: Der Tod ist die Antithese des Lebens, deshalb verdrängen wir ihn. Im Gegensatz zum Tier haben wir ja die Gewissheit des Todes. Wir wissen nur den Zeitpunkt nicht. Das flößt uns Furcht ein. Und deshalb verdrängen wir alles, was uns daran erinnert. Wir leben in einer Gesellschaft, deren Ideal das ewige Leben in Jugend ist.

Ist der Tod deshalb so unbegreiflich, weil er so viele Gesichter hat?

Er hat sicher für jeden ein anderes Gesicht. Aber ich glaube nicht, dass er sehr unterschiedlich aussieht, wenn ich das Opfer eines Völkermordes bin, wenn ich in einer katholischen Kirche in Ruanda eingeschlossen bin und alle Menschen darin niedergemetzelt werden. Da werden der Tod und das Grauen gleich erlebt.

Verglichen mit anderen Gesellschaften drängen wir im Westen den Tod weit zurück, oder?

In traditionellen afrikanischen Gesellschaften sind die Toten den Lebenden viel näher. In den Ahnenkulten befindet sich der Tote nicht in einem unzugänglichen Jenseits, sondern in einem Zwischenreich, von dem aus er in den Alltag der Lebenden hineinregiert.

Halten Sie diesen Zugang zur Totenverehrung für nützlicher als unsere extreme Distanz?

Nein, weil das eingebunden ist in eine traditionelle Kultur. Dieser Zugang würde nichts nützen in einer hochtechnisierten Gesellschaft. Dennoch nutzt auch der Katholizismus ein paar Formen des Ahnenkults, etwa Allerheiligen und Allerseelen. Das ist anderen Religionen relativ fremd, etwa dem Judentum. Da gibt es auch keine Grabpflegekultur. Die Beerdigung wird nicht so zelebriert wie bei uns. Kein Gesang, keine großen Reden, ein schlichter Holzsarg. Das ist im Grunde ein sehr gewöhnlicher Akt. Bei uns hingegen muss es eine schöne Leich’ geben.

Schreckt uns der Tod so sehr, dass wir unbedingt an ein Leben danach glauben wollen?

Das ist halt der große Trost, den Religionen, Quacksalber oder Psychosekten anbieten.

Wobei der Verweis auf ein besseres Sein nach dem Tod auch zurück ins Diesseits wirkt ...

Es führt auf jeden Fall zu Duldsamkeit und Ertragen schlechter Verhältnisse, was der Obrigkeit gefällt.

Eine Revolutionsversicherung?

Wenn ein Mensch weiß, dass ihn ein besseres Leben im Jenseits erwartet, dann braucht er keinen Aufstand machen, um es schon im irdischen Dasein zu erreichen. Er erträgt sein Schicksal leichter.

Thema Sterbehilfe: Ist nicht in Ländern wie Österreich und Deutschland die Diskussion über aktive Sterbehilfe eine sehr gefährliche angesichts der schrecklichen Geschichte der Euthanasie?

Ich halte es für ein befremdliches und ärgerliches Totschlagargument, die aktive Sterbehilfe, wie sie etwa in der freisinnigen Schweiz praktiziert wird, mit dem Vernichtungsprogramm der Nazis zu vergleichen. Es hat sich kein Mensch damals freiwillig ausgesucht, in den Tod zu gehen. Die Menschen wurden gegen ihren Willen systematisch ermordet, massenhaft ausgelöscht. Hier geht es darum, dass ein Mensch eine freie Entscheidung fällt und von seiner letzten Freiheit Gebrauch macht, nämlich der Freiheit, aus dem Leben zu scheiden. Mein Bruder hat diesen Vergleich als Beleidigung empfunden.

In Österreich spricht man von Selbstmord, Freitod sagt kaum jemand …

Das ist natürlich präjudikativ. Man verwendet den Begriff „Mord“ – etwas Verbotenes, ein Verbrechen. Freitod ist schon eine begriffliche Entkriminalisierung. Mein Bruder hat grundsätzlich nur vom Freitod oder assistierten Suizid gesprochen.

Birgt nicht eine liberalisierte Sterbehilfe viele Gefahren?

Obwohl ich diesen Schritt meines Bruders am Ende akzeptiert habe, bin ich kein Anhänger einer vollkommen liberalisierten Sterbehilfe. Denn es gibt einige Gefahren. Zum einen die Frage: Wann ist jemand „qualifiziert“ dafür? Ludwig Minelli, Chef des Schweizer Vereins Dignitas, sagt, zu ihm kämen auch junge Leute mit Liebeskummer. Die brauchen keine Sterbehilfe. Die schickt er weg und sagt: „Du brauchst Lebenshilfe.“ Zweite Frage: Wer macht die Regeln? Es kann keine allgemeine Verfügung darüber geben, weil jeder Fall individuell anders ist. Ich hätte mich zum Beispiel an der Stelle meines Bruders nicht für diesen Schritt entschieden, weil ich einen kleinen Sohn habe. Mein Bruder war alleinstehend. Die Last der sozialen Verpflichtung hatte er nicht. Ich würde versuchen, im Falle einer unheilbaren Krankheit für meinen Sohn so lange wie möglich zu leben.

Sollten Ärzte in die Verantwortung genommen werden?

Die Ärzte haben schon die Herrschaft über den Tod übernommen. Im Krankenhaus bestimmen sie, wie lange das Sterben dauert. Das, was oft als lebensverlängernde Maßnahme bezeichnet wird, nenne ich sterbensverlängernd. Sollen Theologen involviert sein, Psychologen – und wie kann man Missbrauch verhindern? Das sind schwierige Fragen, zumal Motive von Menschen schwer zu prüfen sind. Fallen lauern auch, wenn man Sterbehilfe kommerzialisiert wie in einer Zahnarztpraxis.

Heißt das, eine große gesellschaftliche Diskussion zum Thema ist notwendig?

Ja. Es wäre ein entscheidender Fortschritt, wenn man Beihilfe zur Selbsttötung nicht mehr unter Strafe stellt, dass das nicht mehr kriminalisiert wird, dass man nicht mehr ins Ausland fahren muss, um diese Dienstleistung in Anspruch zu nehmen. Mein Bruder wäre am liebsten zu Hause gestorben.

Viel spricht die Kirche vom „Recht auf Leben“, vom „Recht auf Sterben“ hört man nichts …

Das wird sich auch nicht ändern. Die Machtsäulen der Kirche sind die Geburt und der Tod. Und da bewegt sie sich am allerwenigsten.

Braucht eine Gesellschaft wie die unsere nicht nur eine bessere Kunst zu leben, sondern auch eine bessere zu sterben, eine Ars moriendi?

Das Sterben wurde immer mehr zu einer privaten Angelegenheit. Man hat viele Trauerrituale abgeschafft. In immer mehr Todesanzeigen wird gebeten, von Beileidsbezeugungen abzusehen. In den USA kann man sich wegen Trauer krankschreiben lassen. Dabei ist es eine natürliche Reaktion, zu trauern, wenn jemand geht, mit dem man einen Erlebnisraum geteilt hat. Da verschwindet auch ein Teil des Ichs und der eigenen Geschichte.